Ausgiebige Regengüsse waren angesagt, und trotzdem fanden sich gut zwanzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Altersklassen am Samstagmorgen guten Mutes und mit Regenschutz vor dem Ottiker Volg ein, um der Einladung des Naturschutzvereins und des Ottiker Frauenvereins zu folgen. Geleitet wurde die kombinierte Vogel- und Waldexkursion von der Biologin Ursula Bornhauser-Sieber und dem Stadtförster Herbert Werlen. Mit der persönlichen Begrüssung bekamen die Anwesenden eine Artenliste, auf der sie die gesichteten Vögel eintragen konnten, und dann ging’s auch schon los. Weit musste die Gruppe nicht gehen, um bereits eine erste Besonderheit zu sehen: im noch ländlich geprägten Dorfteil dürfen Mehlschwalben ihr Nest noch unter die Hausdächer kleben, ja sie werden sogar mit Kunstnestern dazu ermutigt, ihre Jungen in menschlicher Nähe aufzuziehen. Die Rauchschwalben mit ihren auffallend langen Schwanzspiessen dagegen „wohnen“ am liebsten in Ställen, wo noch Vieh gehalten wird. Ihre Nester waren nicht zu sehen, dafür präsentierten sich die attraktiven Schwalben auf den Leitungsdrähten.
Eine ganz besondere Art der Nisthilfe bietet ein Hausbesitzer den Staren an: eine hölzerne Hauswand ist in regelmässigen Abständen mit Löchern versehen, durch die ein reges Ein- und Ausfliegen zu beobachten war. Stareneltern waren vollauf mit der Fütterung ihres Nachwuchses beschäftigt, und nur kurze Zeit gönnten sie sich eine Ruhepause auf dem Dach. Am selben Ort konnten weitere typische Siedlungsvögel beobachtet werden: ein Girlitz sang aus voller Kehle, eine Bachstelze stolzierte wippend auf einem Dachgiebel, der Hausrotschwanz liess kurz seinen Gesang mit dem charakteristischen Knirschen dazwischen hören, und natürlich tschilpten die Hausspatzen von allen Balken und Dächern.
Leider verstummt das Spatzengeschrei in den Siedlungen immer mehr. In den perfekt abgedichteten Neu- bzw. energetisch sanierten Altbauten finden sie keine Schlupfwinkel mehr zum Nisten.
Bei der Gärtnerei Ott übernahm Herbert Werlen erstmals die Führung und klärte die Anwesenden über die kürzlich durchgeführten Massnahmen entlang des Bächleins auf. Er betonte die Wichtigkeit einer strukturreichen Ufervegetation aus alten und jungen Bäumen, Büschen, Heckenanteilen, Krautsäumen und offenen Stellen, wo viel Licht hinkommt. Seine Ausführungen wurden wie zum Beweis von Goldammer, Mönchsgrasmücke, Buchfink und Meisen akustisch begleitet.
Einen nächsten längeren Halt machte die Gruppe am Waldrand, wo Ursula Bornhauser die Leute aufforderte, Ornithologie „mit dem Ohr“ zu betreiben. Man lauschte auf die vielfältigen Stimmen aus dem Wald, deren Unterscheidung selbst für Geübte oft genug schwierig ist. Immerhin konnte sie die Singdrossel mit ihren typischen Wiederholungen und das „wieze-wieze-wieze“ der Tannenmeise deutlich anzeigen. Eine Überraschung waren die beiden Pirole, die sich in den hohen Baumkronen ein Gesangsduett lieferten. Sie befanden sich sicher auf dem Durchzug, denn dieser Wald –so schön er auch ist- entspricht nicht ihrem Bruthabitat. Für die Qualität des Waldes sprach dafür eine andere Art: die Hohltaube ist ein eher seltener Höhlenbrüter, der auf alte Schwarzspechthöhlen angewiesen ist, die wiederum nur in Wäldern vorkommen, in denen alte Buchen auch mal über das perfekte Erntealter hinaus stehen gelassen werden. Nicht so selten und viel attraktiver ist dagegen der Grünspecht. Er präsentierte sich für kurze Zeit gut sichtbar auf einer Tannenspitze.
In einem zweiten Waldteil sprach der Förster über das Reservat Widum, wo sich die Waldbesitzer verpflichtet haben, 50 Jahre lang keinerlei forstwirtschaftliche Eingriffe zu tätigen. Dafür erhalten sie eine Entschädigung vom Kanton. Dieses Stück Wald ist eine Buchen-Eiben-Waldgesellschaft, die heute nicht mehr sehr oft vorkommt. Die sehr langsam wüchsige Eibe kann im dichten Schatten der Buchen noch gedeihen und liefert ein äusserst begehrtes Holz, das auf dem Markt Spitzenpreise erzielt. Ein eher kleines Bäumchen schätzte Werlen auf etwa 100 Jahre, und das ist gerade mal Teenageralter für eine Eibe.
Ein zweiter „Lauschhalt“ auf offenem Feld offenbarte, was auch von Auge sichtbar ist: in unserer ausgeräumten Kulturlandschaft mit der intensiven Landwirtschaft fühlt sich kein Vogel mehr wohl. Buntbrachen und vereinzelte Hecken reichen nicht aus, um Distelfinken, Neuntöter oder Dorngrasmücke anzulocken. Sie müssen eine gewisse Qualität aufweisen, und sie müssen ein Netzwerk in der Landschaft bilden, damit sie ökologisch wertvoll sind.
Auf dem gut dreistündigen Rundgang haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer viel Wissenswertes sowohl über die einzelnen Vogelarten wie auch deren Lebensräume und ihre Ansprüche daran erfahren, und wer die verteilte Liste immer nachgeführt hatte, kam am Ende auf eine erstaunliche Anzahl. Ich selber habe 39 Arten gezählt. Besonders erfreulich war das grosse Interesse der Kinder, auch wenn für sie der Blick durch das Fernrohr nicht immer so einfach war. Und geregnet hat’s erst am Abend – dafür kräftig.
Monika Grauwiler